Schlagwort-Archive: Pflichtverteidiger

Im Bußgeldverfahren zwar keinen Pflichtverteidiger, dafür aber den Führerschein behalten

Der 57-jährige Berufskraftfahrer hatte im Fahreignungsregister bereits sieben Punkte angesammelt. Anfang 2015 hatte er sich vor dem Bußgeldrichter in Mannheim erneut wegen eines punktebewehrten Verkehrsverstoßes zu verantworten. Es ging um einen Ladungssicherungsverstoß. Der Bußgeldrichter war zwar verurteilungwillig, konnte sich jedoch hierzu nicht „durchringen“ und holte daher außerhalb der Hauptverhandlung ein technisches Sachverständigengutachten ein. Als dieses vorlag, schien das Schicksal des Betroffenen besiegelt, ihm die Verurteilung sicher, ebenso wie die unweigerliche Fahrerlaubnismaßnahme, nämlich Entziehung derselben. Weiterlesen

BGH: Pflichtverteidiger auswechseln!

 

 

In der Mailingliste der ARGE Strafrecht wird derzeit ein merkwürdiger Fall diskutiert, der vom Bundesgerichtshof am 22.06.11 entschieden worden ist.
In einer Raubsache vor dem LG Berlin war „gedealt“ worden und der Angeklagte erhielt 3 1/2 Jahre. Der am Deal beteiligte Pflichtverteidiger rügte in der Revision, dass die Frage der Schuldfähigkeit (der Angeklagte war offensichtlich schizophren) nicht geprüft worden sei. Auf die Aufklärungsrüge hin wurde daher das ausgedealte Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Natürlich auch zur Prüfung der Frage, ob die Maßregel des § 63 StGB anzuordnen ist. Deren Anordnung wäre bekanntlich kein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius, § 358 III S. 2 StPO.  Jedenfalls regt der 5. Senat die Auswechselung des Verteidigers an. In der Mailingliste wird gemutmaßt, dieser habe die genannte Vorschrift womöglich nicht gekannt und geglaubt, sein Mandant komme um die (unbefristete) Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus herum.

Pflichtverteidigerbestellung revisited

Thielmann fordert in NJW 2011, 1927 mehr Transparenz bei der Beiordnungspraxis im Strafverfahren.
Recht hat er!
Wie läuft’s z.B. beim Amtsgericht Bensheim?
Entsprechend der alten Fassung des § 142 StPO wird der Angeschuldigte aufgefordert, einen ihm beizuordnenden Verteidiger zu benennen, der aus dem hiesigen Gerichtsbezirk stammen soll. Meldet sich der Angeschuldigte nicht, bestellt die/der Vorsitzende einen Pflichtverteidiger indes nicht aus dem Bezirk des Amtsgerichts Bensheim, sondern aus den Bezirken Mannheim, Groß-Gerau oder Darmstadt-Dieburg, obwohl es keinen Mangel gibt an zur Pflichtverteidigung bereiten Rechtsanwälten im Bezirk Bensheim.

Vom Pflichtverteidiger zum Angeklagten

Die Lokalpresse berichtet heute über die Hauptverhandlung gegen den Anwalt, der angeklagt war wegen Untreue, Insolvenzverschleppung u.a.
Ich hatte hierzu bereits am 11.04.10 geschrieben. Am Montag wurde er zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Jahrelang war er am hiesigen Amtsgericht derjenige, den man bevorzugt zum Pflichtverteidiger bestellte. Es wurde ein Näheverhältnis gepflegt, das deutlich über das dienstlich veranlasste Maß hinausging, etwa durch regelmäßig gemeinsam eingenommene Mittagsmahlzeiten. Daß hierdurch die Insolvenzverschleppung erst möglich wurde, hat freilich nur der Anwalt gewußt.  Den Strafrichtern sollte der Fall aber dennoch zu denken geben. Weshalb bedienen sie bestimmte Anwälte bevorzugt mit Pflichtverteidigungen? Weshalb dient sich ein Anwalt zu diesem Zweck ihnen an? Wie abhängig ist er von derartigen Mandaten? Wem dient er, dem, dem er beigeordnet wurde oder dem, der ihn beigeordnet hat? Letzteres liegt näher, denn er will ja auch in Zukunft versorgt werden.
Im Strafverfahren gegen den Anwalt spielten solche Fragen naturgemäß keine Rolle.
Der Fall zeigt einmal mehr, daß der Modus de lege lata über die Beiordnung von Pflichtverteidigern für Mißbrauch und sachwidrige Entscheidungen Raum läßt. So, wie der Mißbrauch von Verteidigerrechten durch einzelne zu Restriktionen geführt hat, die alle und damit auch die seriösen Strafverteidiger betreffen, muß es auch beim Mißbrauch von richterlichen Freiheiten sein. Es bedarf klarer Regeln und zwar im Gesetz. Mit der regelmäßigen Verpflichtung von Kumpeln und willfährigen Anwälten zu Pflichtverteidigern wird der Funktionsfähigkeit und dem Ansehen der Strafjustiz schwer geschadet. Und mache mir keiner weiß, es handele sich um einen Einzelfall.

Untersuchungshaft bei Bagatellstraftaten von Ausländern

Eigentlich bezweckt die Einführung der Pflichtverteidigung bei vollzogener Untersuchungshaft eine Reduzierung der U-Haft-Fälle insgesamt. Der Richter soll angehalten sein, sich über deren Notwendigkeit verschärft Gedanken zu machen. Kürzlich nahm ein Amtsgericht im Odenwald einen Albaner in Haft, weil der einen falschen italienischen Paß verwendet und gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen hatte und über keinen festen Wohnsitz in Deutschland verfügte. Ein anderer Richter, zuständig kraft Verordnung als Ermittlungsrichter des Bezirksschöffengerichts, bestellte dem Inhaftierten sogleich einen Pflichtverteidiger. Hiervon erfuhr der nach Anklageerhebung zuständige Strafrichter im Odenwald nichts und bestellte als Pflichtverteidigerin die Wahlverteidigerin, die sich inzwischen für den Angeschuldigten gemeldet und dies beantragt hatte. In der seit der Inhaftierung nach 51 Tagen stattfindenden Hauptverhandlung, die keine zwanzig Minuten dauerte, hatte der Angeklagte nun zwei Pflichtverteidiger zur Seite. Er wurde zu einer Geldstrafe von 51 Tagessätzen verurteilt. Die Strafe ist durch die verbüßte U-Haft vollstreckt. Weiterlesen

Kein Pflichtverteidigerwechsel bei Gebührenverzicht

Burhoff weist auf eine Entscheidung des OLG Naumburg (2 Ws 52/10)  vom 14.04.10 hin, wonach ein Pflichtverteidigerwechsel nicht mit der Begründung bewilligt werden könne, der „neue“ Pflichtverteidiger habe auf die bereits bei dem „alten“ Pflichtverteidiger entstandenen Gebühren verzichtet, weil auf diese von Rechts wegen nicht verzichtet werden könne. Die Entscheidung dürfte dem Bemühen zuwider laufen, den Wechsel in Haftsachen eher zu erleichtern, nachdem bei Inhaftierung dem Beschuldigten inzwischen sogleich ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, was gelegentlich der Sorgfalt bei der Auswahl desselben nicht förderlich ist.

Nochmals: Pflichtverteidigung bei Untersuchungshaft

Ich hatte am 3.7.09 darüber berichtet, daß das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts insoweit in den Vermittlungsausschuß überwiesen worden war, als durch den neuen § 140 I Nr. 4 StPO bei vollstreckter U-Haft ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt.  Jetzt ist die Regelung Gesetz geworden (BGBl. I 2009, 2277) und tritt am 1.1.2010 in Kraft. Für die Entscheidung zuständig ist der Haftrichter. Die Regelung, wonach der Pflichtverteidiger aus der Zahl derim Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwälte zu bestimmen ist (§ 142 I StPO) entfällt bereits am 1.9.09 (BGBl. I 2009, 2081).
In Zukunft wird verstärkt darauf zu achten sein, daß der Haftrichter eine ordnungsgemäße Auswahl trifft und nicht willfährige Anwälte und/oder Kumpels bevorzugt „bedient“, sondern solche auswählt, die zur Verteidigung des Beschuldigten willens und in der Lage sind.
Andernfalls wird die neue Regelung auch fiskalisch ein teurer „Spaß“, wenn die Beschuldigten, wie oft, die „Willfährigen/Kumpels“ mit fortschreitender Haft wieder loswerden wollen und wegen gestörtem Vertrauensverhältnis ein neuer Pflichtverteidiger beigeordnet werden muß.

Regelung:“bei Untersuchungshaft sofort Pflichtverteidiger“ im Vermittlungsausschuß

Der Bundestag hat eine Änderung der §§ 140, 141 StPO beschlossen. Danach ist dem Beschuldigten sogleich mit Vollzug der Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Bisher war dies erst der Fall, wenn die Haft mindestens 3 Monate angedauert hatte und der Betroffene nicht mindestens 2 Wochen vor der Hauptverhandlung aus der Haft entlassen worden war.
Die Neuregelung befindet sich derzeit im Vermittlungsausschuß, nachdem im Bundesrat fiskalische Bedenken erhoben worden sind. Angesichts der nahenden Endes der Gesetzgebungsperiode wird das Inkrafttreten der Regelung zweifelhaft.

Auf welcher Seite stehen Sie eigentlicht, Herr Pflichtverteidiger?

Ich hatte schon am 20.10.08 über den Pflichtverteidiger geschrieben, der vom Gerichtsvorsitzenden bestellt wird, weil der Angeschuldigte keinen Anwalt hat und auch keinen Anwalt benannt hat, der ihm beigeordnet werden soll. Der Vorsitzende braucht ihn nur aus dem Bestand der im Gerichtsbezirk ansässigen Anwälte auswählen, ohne weiteren Einschränkungen zu unterliegen. Häufig werden die Üblichen genommen, die „keine Probleme“ machen und „kein Rechtsmittel“ einlegen. Von ihren Kollegen werden sie verächtlich „Urteilsbegleiter“  genannt. Sie sind nicht selten abhängig von diesen Mandaten und daher nicht Diener zweier Herren, sondern nur eines, allerdings nicht ihres Mandanten sondern des Vorsitzenden, mit dem nicht selten auch ein über die dienstlichen Belange hinausgehender persönlicher Kontakt gepflegt wird. Dies alles sind Mißstände, die allgemein bekannt sind und über die sich keiner aufregt. Es herrscht die Meinung, diejenigen, die sich ihren Anwalt nicht selbst suchen, seien selbst schuld. Und so geraten gerade diejenigen, die besonders darauf angewiesen wären, was man schon daran sieht, daß sie sich nicht einmal einen Anwalt ihres Vertrauens beschaffen können (z.B. Junkies, sprachunkundige Ausländer, Geisteskranke) an einen Verteidiger, der diesen Namen nicht verdient hat*. Dabei könnte man, statt die Auswahl dem Vorsitzenden zu überlassen, die Pflichtverteidigerbestellung im Turnus entsprechend der bei Gericht erstellten Pflichtverteidigerliste vornehmen. Dies ist jedoch ersichtlich nicht gewollt. Weiterlesen