Schlagwort-Archive: informationelle Selbstbestimmung

BVerfG: „Blitzen“ verfassungsgemäß

Das Bundesverfassungsgericht hat am 5.7.10 in einem Nichtannahmebeschluss entschieden, daß verfassungsrechtlich keine Bedenken bestehen gegen „Blitzen“ von Kraftfahrzeugen und die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen. Im entschiedenen Fall war die Meßeinrichtung so eingestellt, daß bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h Fahrzeuge geblitzt werden, die mindestens 92 km/h gefahren sind.
Dadurch sei die Maßnahme nicht verdachtsunabhängig, es schade auch nicht, daß das Bild dann automatisch ausgelöst werde und nicht von einer Person.
Daß von den Fachgerichten als Ermächtigungsgrundlage § 100h StPO zugrundegelegt worden ist, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (2 BvR 759/10).
Inwieweit dies auch für die mittels Videoaufzeichnung gewonnen Filme unterschiedlicher Aufnahmesysteme bei Abstandsverstößen und Geschwindigkeitsüberschreitungen gilt, werden weitere Entscheidungen des BVerfG zeigen.

Kein Beweisverwertungsverbot bei Messung mit Laserpistole

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 5.3.10 (NZV 2010, 262) noch einmal seine Auffassung aus dem Beschluss vom 9.2.10 (NZV 2010, 263) bekräftigt, wonach ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt, wenn eine verdachtsunabhängige Bildaufzeichnung (Vibram, VKS) erfolgt. Dort hatte das OLG ausgeführt, daß die bezeichneten Verfahren dem Beschluss des BVerfG vom 11.08.09 (NJW 2009, 3293) zuwider laufen und der Gesetzgeber „gefordert (ist), die … gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu schaffen.“
Bei der Entscheidung vom 5.3.10 ging es hingegen um eine Messung mit einer sogn. Laserpistole (Riegl FG 21-P), bei der gerade keine verdachtsunabhängige Speicherung erfolgt sondern gezielt anvisiert und die kurzzeitige Speicherung sogleich automatisch wieder gelöscht wird.

Siehe hierzu auch OLG Brandenburg.

Für Schwerkriminelle oder Raser: § 100h StPO omnibus!

Der ESO ES 3.0 ist ein Einseitensensormessgerät, das die Geschwindigkeit mittels Lichtschranke ermittelt. Im entschiedenen Fall hatte der Meßbeamte das Gerät in einer 80er-Zone so eingestellt, daß alle beblitzt wurden, die schneller als 92 fuhren. Das hat das OLG Brandenburg gebilligt (NJW 2010, 1471). Rechtsgrundlage sei § 100h I Nr. 1 StPO. Im Gegensatz zu dessen Nr. 2 sei das Anfertigen von Bildaufnahmen nicht an eine – hier unstr. nicht vorliegende – Observation gebunden, die ihrerseits Straftaten von erheblicher Bedeutung voraussetzt.
Das ist bereits im Ansatz falsch, weil sich seinem Wortlaut nach der gesamte § 100h StPO mit Maßnahmen zu Observationszwecken befaßt (Meyer-Goßner, 100h, Rn. 1). Elegant auch, wie das OLG die Hürde nimmt, wonach nur gegen Beschuldigte in dieser Weise vorgegangen werden dürfe. „Der Tatverdacht besteht … bereits ab dem Zeitpunkt, in dem das Messgerät die Geschwindigkeitsüberschreitung registriert.“
Bravo! Das Messgerät also macht den Tatverdacht. Alles automatisch. Am besten machen wir auch den Rest dann auch gleich ohne Beteiligung von menschlichen Trägern staatlicher Strafgewalt und ziehen den so Gemessenen mitsamt seinem Fahrzeug mittels Maschinenkraft aus dem Verkehr und verweisen ihn in den Orkus, wo er seine Bußgeldschuld abarbeiten und das Fahrverbot verbüßen kann. Alles automatisch.

AG Groß-Gerau: Abstandsmessung mit VKS unzulässig!

Ich hatte bereits am 21.08., 22.09.09 und am 13.04.10 über die Frage der Zulässigkeit von Videobrückenabstandsmessverfahren (Vibram) berichtet. Das Amtsgericht Groß-Gerau hat heute einen Betroffenen freigesprochen, bei dem mit dem System VKS gemessen und eine Abstandsunterschreitung festgestellt worden war, die zu einem Bußgeld von 240 € und einem einmonatigen Fahrverbot geführt hätte. Das Gericht konnte weder eine gesetzliche Eingriffsermächtigung erblicken, weswegen es von einem Beweiserhebungsverbot ausging, noch seien die so gewonnen Daten gegen den Betroffenen gerichtsverwertbar. Kopfschütteln rief die in der Sitzung vertretene Staatsanwaltschaft hervor, die als Eingriffsgrundlage in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht etwa den üblichen § 100h StPO sondern „das HSOG (Hessisches Gesetz über die Sicherheit und Ordnung) und die hierauf ergangenen Verordnungen“ anführte, freilich ohne konkreter zu werden.
Der Bußgeldrichter sprach von dem Unterschied zwischen Gefahrenabwehr einerseits und Strafverfolgung und der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten andererseits, der eigentlich bekannt sein sollte und von „Grundkurs“.

Die Staatsanwaltschaft wird gegen das Urteil Rechtsbeschwerde einlegen.

Videoüberwachungsdämmerung

In seiner Besprechung ((NZV 2009, 621) der Entscheidung des BVerfG vom 11.08.2009 (ebd. S. 618) zur Videoüberwachung erkennt Carsten Krumm in § 100 h StPO die Ermächtigungsgrundlage hierfür, erinnert die Verteidiger daran, daß sie der Verwertung des Bildmaterials (spätestens) in der Hauptverhandlung widersprechen müssen, wenn sie deren Unverwertbarkeit erreichen wollen, weist auf die Benachrichtigungs- und Belehrungspflichten des § 101 StPO hin, die dazu führen würden, daß auf die Behörden in Zukunft „erhebliche Arbeit“ zukäme, wollten sie nicht ein Verwertungsverbot alleine aufgrund eines willkürlichen Verstoßes gegen § 101 StPO riskieren, ist sich seiner Sache am Ende allerdings wohl doch nicht so sicher, wenn er jedenfalls bei dem nicht geständigen Betroffenen auf die Einstellungsmöglichkeit nach § 47 OWiG hinweist und schließlich eine eigene Ermächtigungsgrundlage in OWiG oder StVG für Videoüberwachungen fordert. Siehe auch meine Beiträge vom 21.08. und 22.09.09.

Video-Verkehrskontrollen nur aufgrund Änderung des StVG

Hans-Peter Bull meint in der NJW (2009, 3279), daß Video-Verkehrskontollen nach der Entscheidung des BVerfG (NJW 2009, 3293) nur aufgrund einer Änderung des StVG möglich sein werden, in der die bisherigen Verwaltungsvorschriften in Gesetzesrang erhoben werden. Die Bedenken des BVerfG gegen die verdachtsunabhängige Beschnüffelung sämtlicher des Weges kommender Autofahrer teilt er nicht. Er plädiert für die Anwendung seines Modells eines „gesetzlich geordneten Verdachtsgewinnungsverfahrens“, das nichts als ein Euphemismus für die Totalüberwachung durch den Staat ist, so lange man sie mit der Behauptung, es gelte „sozialschädliches Handlungsweisen, die zwar häufig vorkommen, aber selten angezeigt werden – ohne technische Aufzeichnungen gibt es meist keine ausreichenden Beweise“ (a.a.O.), rechtfertigen kann. Aber wie bekämpft man „sozialschädliches Verhalten“ wie Sozialleistungsmißbrauch oder Steuerhinterziehung? Durch Videowohnraumüberwachung sämtlicher Sozialhilfeempfänger und Steuerzahler?