Archiv der Kategorie: blog verkehrsrecht

Strafbarer Pedelec- und E-Scooter-Fahrer

Vor vier Jahren wurde mit § 315d I Nr. 3 StGB die Strafbarkeit des „Einzelrasers“ begründet. Danach macht sich strafbar, „wer als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fährt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Geregelt ist das in dem Paragraf, der verbotene Kraftfahrzeugrennen (!) unter Strafe stellt.
Dass die unbestimmte und konturenlose Gesetzesnorm auch ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko für diejenigen birgt, die sich in Spielstraßen oder auf Gehwegen modern und politisch korrekt elektrisch auf zwei Rädern mit „Höchstgeschwindigkeit“ fortbewegen und hierbei keine Rücksicht auf alte und/oder gebrechliche Fußgänger oder auf Kinder nehmen, ist bislang noch nicht ins Bewusstsein gedrungen.
Die Folgen können allerdings weitreichend sein, wenn die Strafverfolgungsbehörden einmal auf diese Idee verfallen. Neben einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren steht ein vielfältiges Instrumentarium zur Verfügung, nämlich die obligatorische Eintragung von mindestens 2 Punkten im Fahreignungsregister, die Entziehung der Fahrerlaubnis und der Einziehung des benutzten Kraftfahrzeuges.

Gericht lädt keine Zeugen im OWi-Verfahren

In Bußgeldverfahren ist es mittlerweile üblich, dass das Gericht zwar unheimlich viel Wert darauf legt, dass der sogenannte Betroffene von Gott weiß woher im Termin zur Hauptverhandlung erscheint, weswegen sein persönliches Erscheinen auch regelmäßig angeordnet wird. Auf Zeugen wird weniger Wert gelegt. Lieber sollen die polizeilichen Zeugen, die z.B. eine Geschwindigkeitsmessung durchgeführt haben, dadurch ersetzt werden, dass Schriftstücke vorgelesen werden, die sich in der Akte befinden. Dies lässt § 77a OWiG, der das vereinfachte Verfahren in Bußgeldsachen regelt, grundsätzlich auch zu. Allerdings ist in Abs. 4 geregelt, dass diese Vorgehensweise von Seiten des Betroffenen und des Verteidigers zustimmungsbedürftig ist. Wird in der Hauptverhandlung die Zustimmung nicht erteilt, ist der Termin „geplatzt“ und das Gericht muss einen neuen Termin bestimmen und hierzu den oder die in Betracht kommenden Zeugen laden. Dies ist auch sinnvoll, denn ob die Messung ordnungsgemäß und im Einklang mit den Bedienvorschriften des Herstellers des Messgerätes durchgeführt worden ist, kann nur durch Befragung der Meßbeamten ergründen werden. Das Papier, auf dem der Meßbeamte bei der Messung verewigt hat, dass alles ordnungsgemäß gewesen sei, ist nämlich überaus geduldig.

Die Nichtverlesbarkeit ohne Zustimmung gilt auch für das Meßprotokoll selbst, auch wenn Gerichte teilweise der Auffassung sind, dieses könne gemäß § 256 StPO, dort Abs. 1 Nr. 5, verlesen werden. Diese Regelung betrifft allerdings lediglich Protokolle der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen. Polizeiliche Messungen sind allerdings der Gefahrenabwehr und nicht der Strafverfolgung zuzuordnen. Daher kann nach dieser Vorschrift ebenfalls eine Verlesung des Meßprotokolls nicht erfolgen.

Noch mehr Fahrverbote, noch mehr Punkte

Die Sanktionen der Bußgeldkatalogverordnung werden wieder einmal verschärft. Zukünftig wird bereits bei Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 15 km/h ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen (bisher ab 21 km/H).
Innerorts wird zukünftig regelmäßig ein einmonatiges Fahrverbot verhängt bei mehr als 21 km/h zuviel (bisher 31 km/h). Außerorts bereits bei 26 km/h zu schnell (bisher 41 km/h).
Gründe hierfür gibt es nicht. Die Verkehrssicherheit kann es nicht sein. Noch nie gab es so wenig Verkehrstote wie 2019. Dann aber gibt es gar keine Sachgründe, die die Verschärfung allenfalls gerechtfertigt hätten. Was bleibt dann noch? Das ist halt Politik. Wenn schon kein totales Tempolimit, dann aber wenigstens die rote Karte für „Raser“. Das Auto und sein Fahrer haben es schwer in Deutschland 2020. Sie stehen auf der falschen Seite. Sind nicht mehr politisch korrekt. Niemand traut sich, sich öffentlich zu bekennen. „Freude am Fahren“, das war einmal. Heute ist es einem peinlich. In diesem Klima gedeihen Verbote, drakonische Strafen, das Schröpfen des Autofahrers. Wer sich wehrt, ist eine Umweltsau. Mindestens. Also: Klappe halten!

Cannabis und Straßenverkehr

Seit Cannabis legal konsumiert werden darf, wenn es sich um medizinisches Cannabis handelt und ärztlich verordnet ist, stellt sich die Frage der Vereinbarkeit mit dem Führen von Kraftfahrzeugen, denn eigentlich und herkömmlich lässt der regelmäßige Konsum und die fehlende Trennung von Konsum einerseits und dem Führen von Kraftfahrzeugen andererseits die Fahreignung entfallen. Maßgeblich kann in diesen Fällen auch nicht sein, in welchem Umfang THC im Rahmen einer Blutprobe im Körper festgestellt wird und insbesondere nicht, ob die bußgeldrechtlich maßgebliche Grenze von 1 Nanogramm/Milliliter überschritten wird, obwohl therapeutische THC-Konzentrationen im allgemeinen niedriger liegen dürften als bei illegalem Konsum.

Der Verwaltungsgerichtshof München hat in seiner Entscheidung vom 29. April 2019 (11 B 18.2482) entschieden, dass die Fahreignung nur dann besteht, wenn das medizinische Cannabis entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen wird und im Falle von Beigebrauch von illegalem Cannabis oder Mischkonsum mit Alkohol die Fahreignung entfällt.
Interessant ist auch, welche Folgen es hat, wenn der Verstoß (die „Drogenfahrt“) vor der ärztlichen Verordnung von medizinischem Cannabis liegt. In diesem Falle hat die Fahrerlaubnisbehörde zu prüfen, ob auch durch die nachträgliche Verordnung möglicherweise die Fahreignungszweifel ausgeräumt sind, andernfalls sie „entsprechende Aufklärungsmaßnahmen“ einzuleiten hat (NJW 2019, 2419).

Landgericht Darmstadt tut sich wichtig oder: wenn der Schwanz mit dem Hund wackeln will

Die sogenannter fiktiver Schadensberechnung, also Geld statt Wiederherstellung einer beschädigten Sache fußt gesetzlich auf Paragraf 249 Abs. 1 Satz 2 BGB. Praktisch wird bei einem Autounfall ein Kostenvoranschlag eingeholt oder ein Schadensgutachten vorgelegt und der Schädiger und sein Versicherer hat die Wiederherstellungskosten ohne Mehrwertsteuer zu ersetzen. Was der geschädigte mit dem Geld macht, ist seine Angelegenheit. Nachdem der Bundesgerichtshof am 22. Februar 2018 in einer Baumängelsache entschieden hat, dass wegen des Bereicherungsverbotes der Schädiger nur entweder die konkreten Mängelbeseitigungskosten geltend machen könne oder den Betrag, um den seine Bausache aufgrund von Mängeln im Wert gemindert ist, gab es Diskussionen dazu, ob dies womöglich nicht nur, wie vom BGH entschieden, für das Werkvertragsrecht gelten könnte sondern eventuell auch für das Kaufrecht.
Dass allerdings auch im Deliktsrecht die sogenannte fiktive Schadensberechnung zu beerdigen sei, da musste erst das Landgericht Darmstadt kommen, um zu diesem Rundumschlag auszuholen. So hat die 23. Zivilkammer es nämlich am 5. September 2018 unter dem Aktenzeichen 23 O 386/17 entschieden. Bei Haufe kann man lesen, wie schrecklich uneinsichtig der dortige Kläger gewesen sei und einfach im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an der fiktiven Abrechnung festgehalten und die Hinweise des Landgerichts Darmstadt ignoriert habe. Unglaublich! Die Klage hat man natürlich abgewiesen. Hierzu fühlt man sich in Darmstadt berechtigt. Gefolgschaft wird dem Bundesgerichtshof nicht geschuldet! Wahrscheinlich weiß man auch schon, dass der zuständige Zivilsenat beim Oberlandesgericht Frankfurt mit Sitz in Darmstadt ebenfalls Lust hat, Schwanz zu spielen und mit dem Hund zu wackeln. Rechtsfortbildung von unten nach oben. Man meint, dies sei rechtspolitisch geboten. Es gebe zu viele Betrügereien bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen. Dabei kann man nur aus der Nabelschauperspektive auf diesen Gedanken kommen, weil Gerichte nun einmal mit überdurchschnittlich vielen problematischen Fällen befaßt sind, während der redliche Unfallgeschädigte regelmäßig keine Gerichte bemühen muss. Die höhnische Rechtsprechung aus Darmstadt kann man eigentlich nur noch zusammenfassen mit: wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Karlsruhe muss es richten.

Fahrverbote in Frankfurt? Immer schön locker bleiben!

Abgesehen davon, dass man sich fragt, warum eigentlich ein Verwaltungsgericht in Wiesbaden über Fahrverbot in Frankfurt entscheidet (hat Frankfurt nicht einmal ein Verwaltungsgericht?); noch einmal was die Entscheidung bedeutet und vor allem was sie nicht bedeutet: sie bedeutet nicht, dass ab Februar 2019 alle Euro-vier-und-schlechter-Fahrzeuge nicht mehr in die Stadt fahren dürfen. Sie bedeutet nicht, dass ab September 2019 alle Euro-fünf-und schlechter-Fahrzeuge nicht mehr in die Stadt fahren dürfen. Sie bedeutet lediglich, dass die Stadt Frankfurt verpflichtet ist, im Stadtgebiet die EU-Grenzwerte für NOX und sonstige Schadstoffe einzuhalten. Wenn es nicht anders möglich ist, dann halt eben auch mit einem Fahrverbot. Ein solches kann natürlich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht über das gesamte Stadtgebiet gelegt werden, auch wenn es der Deutschen Umwelthilfe wahrscheinlich so am liebsten wäre. Betroffen werden einzelne Straßen sein, wie wir dies auch schon andernorts erleben. Vielleicht werden aber auch gar keine Fahrverbote verhängt, denn die Hysterie wird viele bis zum September 2019 zum Umstieg veranlassen was dann die NOX-Werte entsprechend reduziert (und beim Umstieg auf Otto-Motoren die CO2-Belastung entsprechend erhöht aber: so what?). Hoffnung keimt auch in Bezug auf die Hardware-Nachrüstung, denn durch derartige Richtersprüche wächst der Druck auf Politik und Industrie. Schließlich bleibt es, wie in der guten alten Zeit der Plakettenverordnung, dabei, dass ordnungswidrig sich nur der verhält, der ein von einem Fahrverbot betroffenes Fahrzeug in die Verbotszone einfährt. Mit Kontrollen dürfte jedoch (weil anders praktisch kaum möglich) allenfalls im ruhenden Verkehr zu rechnen sein; im Rahmen dessen allerdings ist der Fahrer, der das Fahrzeug eingebracht hat, regelmäßig nicht festzustellen. Es bleibt also bei dem Motto: immer schön locker bleiben.

Der Abstand zum Vorausfahrenden

Eigentlich ist es ganz einfach. Laut § 4 StVO muß man hinter dem Vorausfahrenden anhalten können, wenn er plötzlich bremst, was der aber nicht ohne zwingenden Grund darf. Die Bußgeldkatalog-Verordnung hat daraus in den Nummern 12.5 bis 12.7.5 ein Monster gemacht. Ein Bußgeld von mindestens 75 € und ein bis zwei Punkte im FAER und ein Fahrverbot bis zu drei Monate erhält man, abgestuft nach Geschwindigkeiten zwischen 80 und 100 km/h und solchen über 100 km/h, bei Abstandsverkürzungen von mindestens „5/10 des halben Tachowertes“.
Dem Fahrzeugführer wird also abverlangt, aus der gefahrenen Geschwindigkeit, nehmen wir beispielsweise 137 km/h, zunächst den „halben Tachowert“ zu ermitteln, im Beispielsfall 68,5, und daraus einen Bruch zu bilden, was bei „5/10“ möglich erscheint, es sind halt 34,25 m. 4/10, 3/10 und 2/10 zu ermitteln erscheint mir schwerlich machbar. Erschwerend kommt hinzu, dass die Geschwindigkeit ja nicht fixiert ist sondern sich permanent ändert. Eben fährst du 137, dann 148 und dann wieder 119, vielleicht auch nur 80, wodurch sich der ganze Bezugsrahmen ändert. Und: kennt jemand ein Auto mit digitaler Abstandanzeige, was die Ermittlung des zulässigen Mindestabstandes eventuell erleichtern würde? Nein, sowas gibt es nicht.
Wäre aber nötig, denn wer kann schon sagen, in welchem Abstand er zum Vorausfahrenden fährt? Abgesehen davon, dass sich der Abstand eh ständig ändert, mangelt es uns an der Fähigkeit, Entfernungen zu schätzen und dies in verläßliche Angaben umzuwanden. Derselbe Abstand ist beim einen Zeugen „vielleicht 100 m“ und beim anderen „vielleicht 10 m“.
Zurück zum Beispiel. Fährt man mit besagten 137 km/h und der Abstand zum Vordermann beträgt 20,50 m, also mehr als vier Fahrzeuglängen, geht man 1 Monat zu Fuß, zahlt 160 € und 2 Punkte im FAER kommen erschwerend hinzu, die 5 Jahre lang nicht getilgt werden. Das alles, obwohl man gar nicht weiß, wie schnell man fährt, wie groß der Abstand zum Vordermann ist und welchen Mindestabstand man einhalten muß. Hingegen weiß man sicher, dass man problemlos hinter dem bremsenden Vordermann hätte anhalten können. Das kann nicht richtig sein, denn niemand darf vom Recht über das Maß hinaus gefordert werden, was er zu leisten imstande ist.
Inzwischen wird auf der schnurgeraden BAB 5 zwischen Darmstadt und Frankfurt (8streifig) der Abstand gemessen. Im dichten Kolonnenverkehr!
Der Bußgeldrichterin am zuständigen Amtsgericht Groß-Gerau entlockt das keine Bedenken. Sie beruft sich auf das OLG Frankfurt.

Diesel, Politik und Panik

Dass der Diesel seit der Implantierung des TDI im Fiat Croma 1987 ein mehrheitsfähiger Antrieb im PKW ist, war praktisch drei Jahrzehnte lang unstreitig. Dass er ein NOX-Problem hat, ist auch schon eine Weile bekannt. Dass das Problem nun nicht die Welt aus den Angeln hebt und außerdem auch weitgehend behebbar ist, sollte  auch klar sein. Das wird ja auch an der gestrigen Entscheidung des BVerwG deutlich. Denn es wurde nicht etwa ein Fahrverbot -besser: Verkehrsverbot- für ältere Diesel angeordnet; lediglich die Möglichkeit hierfür wurde den Kommunen gegeben, aber nur als ultima ratio, wenn also andere, mildere Mittel nicht reichen, um die verbindlichen NOX-Grenzwerte einzuhalten. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit werden nicht, wie nach der Plakettenverordnung, ganze Innenstädte von Verkehrsverboten betroffen sein, sondern nur einzelne Straßen bzw. Straßenabschnitte und auch nur solange und soweit die Grenzwerte überschritten werden. Weiterlesen

Dashcam als Beweismittel

Die Aufnahmen einer sogn. Dashcam oder on-board-Kamera, also einer Kameraaufnahme, die hinter der Windschutzscheibe oder auf dem Armaturenbrett vom Verkehrsgeschehen angefertigt wird, ist im Zivilprozeß nach Auffassung verschiedener Gerichte nicht verwertbar. Warum kann hier dahinstehen, denn wir folgen der Auffassung der OLG Nürnberg in einem aktuellen Hinweisbeschluss vom 10.08.2017 (13 U 851/17), wonach die Aufnahmen verwertbar sind.  Achten sollte man aber dennoch darauf, dass ein automatisches Überschreiben älterer Aufnahmen erfolgt, um die Verwertbarkeit sicherzustellen.