Archiv für den Monat: November 2010

Der Massenfreispruch von Herford

Die FAZ berichtete gestern über den „Massenfreispruch“ von 40 Betroffenen von Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen am Amtsgericht Herford in Westfalen. Der offensichtlich erfahrene Richter Helmut Knöner (62) habe dies mit nicht eindeutigen gesetzlichen Regelungen zur Tempoüberwachung begründet. Die Lichtbildaufnahmen beruhten auf gesetzlichen Vorschriften, die zur Terrorabwehr geschaffen worden seien (gemeint ist wohl § 100h StPO). Er bemängelt, daß nicht (nur) da „geblitzt“ werde, wo es für die Verkehrssicherheit sinnvoll ist, sondern (auch) dort, wo sich mit den Verkehrsübertretungen Kasse machen lasse. Es sei dazu keine genaue Vorschrift für die Verkehrsüberwacher vorhanden, die diese entsprechend binde, so daß jeder da blitze, wo er Lust hat.
Der Mann hat Recht! Und er weiß wovon er redet. Das Gerede von der Raserei, der Einhalt zu gebieten sei, ist reine Heuchelei! Mal sehen, wie das weitergeht. Nicht, daß gegen den Mann noch ein Rechtsbeugungsverfahren eingeleitet wird. Lieber soll das OLG Hamm mal über die Rechtsbeschwerden der StA entscheiden.

Kachelmann-Kammer abgehört?

Udo Vetter berichtet auf seinem lawblog über die vorläufige Festnahme eines Journalisten der dpa, der im Verdacht steht, die Kammer des Kachelmann-Verfahrens mittels eines Sprachaufzeichnungsgerätes abgehört zu haben. Wohlgemerkt von der Straße aus bei zunächst geschlossenem Fenster. Handy und Sprachaufzeichnungsgerät seien zur kriminaltechischen Auswertung nach wie vor sichergestellt.
Vetter meint darin ablesen zu können, wie blank die Nerven der Kachelmann-Kammer lägen. Er drückt sich zurückhaltend aus.
Zum Thema auch: „Merkwürdigkeiten“ im beck-blog.

Runderlaß des HessJM zur Strafvollstr. bei Ausweisung

Der Hessische Justizminister hat einen Runderlaß zu § 456a StPO verfügt (JMBl 2010, 290). Danach ist zum Halbstrafenzeitpunkt eine Maßnahme nach §456a StPO die Regel. Die Vollstreckung über diesen Zeitpunkt hinaus kommt nur aus besonderen Gründen in Tat oder Person des Verurteilten oder zur Verteidigung der Rechtsordnung in Betracht. Von der Vollstreckung kann aber auch völlig oder jedenfalls vor dem Halbstrafenzeitpunkt abgesehen werden, wenn bereits die Ausweisung selbst und/oder in dieser Sache erlittene Freiheitsentziehung zur Einwirkung auf den Verurteilten und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreicht. Berücksichtigt werden soll „dabei“, ob der Verurteilte in dieser oder anderer Sache „im Ausland“ eine weitere Strafe zu erwarten hat.

OLG Hamm: Anforderungen an Urteil bei Rotlichtverstoß

Das Oberlandesgericht Hamm führt in einem Beschluss vom 02.11.10  zu einem Urteil des Amtsgerichts Borken über einen Rotlichtverstoß folgendes aus:

„Die im Ergebnis zu knappen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen (fahrlässigen) Rotlichtverstoßes nicht. Soweit ein solcher Verstoß nicht innerhalb einer geschlossenen Ortschaft begangen worden ist, was hier nicht erkennbar ist, sind jedenfalls näherer Ausführungen zur Dauer der Gelbphase sowie zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit erforderlich sowie möglicherweise auch dazu, wie weit der Betroffene mit seinem Fahrzeug noch von der Ampel entfernt war, als diese von Gelb- auf Rotlicht umschaltete. Nur bei Kenntnis dieser Umstände lässt sich nämlich entscheiden, ob der Betroffene bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung in der Lage gewesen ist, dem von dem Gelblicht ausgehenden Haltgebot zu folgen, was unerlässliche Voraussetzung für den Vorwurf ist, das Rotlicht schuldhaft missachtet zu haben. Innerhalb geschlossener Ortschaften sind derartige Feststellungen in der Regel entbehrlich, da hier von einer zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h und  einer Gelblichtdauer von 3 Sekunden ausgegangen werden kann.

Das angefochtene Urteil enthält keinerlei Feststellungen zur Schuldform, auch im Tenor des Urteils nicht.

Weiter waren Feststellungen dazu erforderlich, ob der Betroffene in den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich eingefahren ist oder nicht. Entsprechende Feststellungen hätten nach der Aussage des Zeugen F.  nicht fern gelegen, da dieser dem Betroffenen „nachgefahren“ sein will.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass ein einfacher Rotlichtverstoß dann anzunehmen ist, wenn die Lichtzeichenanlage beim Vorbeifahren durch einen Betroffenen Rotlicht gezeigt hat (und der Betroffene in den geschützten Bereich eingefahren ist), bei der Frage, ob bereits mehr als 1 s Rotlicht geherrscht hat, dagegen auf das Überfahren der Haltelinie abzustellen ist.

Schließlich hätte das Amtsgericht die Voreintragungen des Betroffenen nicht berücksichtigen dürfen. Nach Paragraph 29 Abs. 8  StVG war im Zeitpunkt der Hauptverhandlung Tilgungsreife eingetreten mit der Folge eines Verwertungsverbotes. Das gilt unabhängig davon, dass nach Paragraph 29 Abs. 7 StVG noch die Überliegefrist lief.“

Und was folgt aus einem solchen Urteilsverriss? Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde verworfen, weil diese wieder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich gewesen ist. Die festzustellenden Rechtsfehler beträfen lediglich den Einzelfall und „nach diesem Hinweis durch den Senat „sei „eine Wiederholung nicht zu besorgen“ (OLG Hamm III -4 RBs  374/10 vom 2. November 2010).

Vollstreckung von Bußgeldern aus dem Ausland

Das Gesetz zur gegenseitigen Anerkennung von Bußgeldern und Geldstrafen ist jetzt „durch“ (BGBl. 2010, 1408). Ist die „Geldsanktion“ nach rechtsstaatlichen Kriterien (insbes. rechtl. Gehör) zustande gekommen, kann sie auch in Deutschland vollstreckt werden. Dies gilt bei Bußgeldern von mindestens 70 € (incl. Kosten!) gem. § 87b III Nr. 2 IRG n.F. Die Sanktion eines Verstoßes im „ruhenden Verkehr“ wird i.d.R also weiter im Inland nicht volltreckt werden.