Archiv für den Monat: April 2010

AG Groß-Gerau: Abstandsmessung mit VKS unzulässig!

Ich hatte bereits am 21.08., 22.09.09 und am 13.04.10 über die Frage der Zulässigkeit von Videobrückenabstandsmessverfahren (Vibram) berichtet. Das Amtsgericht Groß-Gerau hat heute einen Betroffenen freigesprochen, bei dem mit dem System VKS gemessen und eine Abstandsunterschreitung festgestellt worden war, die zu einem Bußgeld von 240 € und einem einmonatigen Fahrverbot geführt hätte. Das Gericht konnte weder eine gesetzliche Eingriffsermächtigung erblicken, weswegen es von einem Beweiserhebungsverbot ausging, noch seien die so gewonnen Daten gegen den Betroffenen gerichtsverwertbar. Kopfschütteln rief die in der Sitzung vertretene Staatsanwaltschaft hervor, die als Eingriffsgrundlage in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht etwa den üblichen § 100h StPO sondern „das HSOG (Hessisches Gesetz über die Sicherheit und Ordnung) und die hierauf ergangenen Verordnungen“ anführte, freilich ohne konkreter zu werden.
Der Bußgeldrichter sprach von dem Unterschied zwischen Gefahrenabwehr einerseits und Strafverfolgung und der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten andererseits, der eigentlich bekannt sein sollte und von „Grundkurs“.

Die Staatsanwaltschaft wird gegen das Urteil Rechtsbeschwerde einlegen.

Präklusion im Strafprozeß

Beim 13. Strafverteidiger-Frühjahrssymposium am vergangenen Wochenende in Karlsruhe hatte Eberhard Kempf die neue Rechtsprechung des 1. Strafsenats des BGH, wonach einerseits das Kriterium der Wesentlichkeit einer zu erwartenden Verfahrensverzögerung bei einem zum Zwecke der Prozeßverschleppung gestellten Beweisantrag jedenfalls restriktiv auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben sei (BGH St 51, 333) ebenso kritisiert wie die Entscheidung des 1. Strafsenats im 52. Band, Seite 355, wonach bereits nach 10 Verhandlungstagen es dem Vorsitzenden nicht verwehrt sei, eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen zu setzen. Dies sei contra legem entschieden, nämlich entgegen § 246 I StPO.
Der 5. Senat hatte die Fristsetzung ursprünglich einmal in einem Verfahren von 3 1/2jähriger Dauer und 291 Verhandlungstagen und einer einer wahren Antragsflut des Verteidigers Rieger (zu Recht) für zulässig erachtet (NJW 2005, 2466).
Armin Nack hat unter Verweis auf den Beschluss des BVerfG, der zu der im 52. Band abgedruckten Entscheidung ergangen ist (NJW 2010, 592), wonach ihr Verfassungsrecht nicht entgegenstünde, in einem Statement davon gesprochen, dies müßten die Rechtsanwälte nun so hinnehmen und er könne dazu auch eigentlich „basta“ sagen. Weiterlesen

In Kaiserslautern nach dem Wiederaufstieg

Samstag, 24.04.2010, vormittags, Karlsruhe
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Beim Frühjahrssymposium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht wünscht sich der Vizepräsident des BGH, ein Pfälzer,  in seinem Grußwort, der FCK möge an diesem Wochenende vorzeitig in die 1. Bundesliga aufsteigen. Ich denke an meinen Hauptverhandlungstermin beim Amtsgericht Kaiserslautern am Montag und hoffe dies auch.

Samstag, 24.04.2010, nachmittags
Der FCK spielt daheim 0:1 gegen Rostock. Da gibt’s nichts zu feiern.

Sonntag, 25.04.2010
FSV Frankfurt leistet dem FCK Schützenhilfe, spielt 1:1 gegen Augsburg und Kaiserslautern ist aufgestiegen.

Montag, 26.04.2010
10.00 Uhr
Stau auf der A6 zwischen Wattenheim und Kaiserslautern. Ich komme zu spät zum Termin, der eigentlich jetzt hätte beginnen sollen.
10.30 Uhr, Kaiserslautern
Ich bin da. Der auf meinen Antrag hin geladene Sachverständige erscheint nicht, hat einen anderen Termin. Der Zeuge, ein Polizeibeamter, ist ebenfalls nicht gekommen. Nur der Geschäftsführer der Spedition, bei der der Angeklagte beschäftigt ist.
Der sagt dann in diesem Fortsetzungstermin aus. Der Angeklagte sei ein vorbildlicher Mitarbeiter.
Angeklagt ist er der Nötigung im Straßenverkehr. Im letzten Termin, nach der Vernehmung der Belastungszeugen,  hatte die Richterin ins Beratungszimmer gebeten, Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl nahe gelegt und auf § 44 StGB verwiesen, auf den erkannt der Strafbefehl nicht hatte.
Nun bat sie wieder ins Beratungszimmer.
§ 153a.
Weil der Arbeitgeber ihn als so außerordentlich zuverlässig geschildert hatte und er auch keine Eintragungen im VZR hatte. Und natürlich auch aus verfahrensökonomischen Gründen.

11.00 Uhr, Kaiserslautern, Cafe gegenüber Hauptbahnhof
In dem Cafe am Bahnhof liegt ein Stapel Bild-‚Zeitungen. Drauf ist der FCK und alles sieht so rot aus.
Am Nachbartisch ein alter Mann. Ob wir geschäftlich in Kaiserslautern seien. Er sei 92 und habe schon zwei Kriege mitgemacht. Es schließt sich die Beschreibung von Kriegserlebnisse an. Der Kohl sei ja nie im Krieg gewesen. Den Einwand: „der war Flak-Helfer“ läßt er nicht gelten. Dann geht er. Dreht sich noch einmal um und sagt:“92!“ „Zwei Kriege mitgemacht!“ Und zwinkert.

Vom Umgang mit Rechtsanwälten beim Landgericht Darmstadt

Nach Zustellung der Klage wurde am 24.03.10 bei der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt Verteidigungsbereitschaft angezeigt und am 13.04.10, dem Tag des Ablaufs der Klageerwiderungsfrist Verlängerung derselben um zwei Wochen beantragt mit der Begründung, der Beklagtenvertreter sei durch die Feiertage und seinen Osterurlaub bedingt, nicht in der Lage gewesen, die Klageerwiderung fristgerecht zu erstellen.
Am 22.04.10 lud das Landgericht Darmstadt zum Verhandlungstermin am 10.05.10 und teilte mit:
„Fristverlängerung für Beklagten-Vertreter wird abgelehnt:
Rechtsstreite müssen unverzögert durchgeführt werden. Bei Vertretungsanzeige am 24.03.2010 war von terminlicher Verhinderung infolge der anstehenden Osterfeiertage nicht die Rede, auch nicht von Urlaub (dessen Dauer bzw. Antritt auch nicht dargetan ist).“

Die Rauschtat

Es hat den Anschein, als werde § 323a StGB als Auffangtatbestand für alle diejenigen Fälle eingesetzt, in denen wegen Schuldunfähigkeit nicht wegen des eigentlichen Vorwurfs verurteilt werden kann. Anders ist die Vielzahl von Eintragungen im BZR, meist bezeichnender Weise mit „Cs-Aktenzeichen“, kaum zu erklären.
Gestern hat das Amtsgericht Fürth wegen einer Rauschtat zu einer Geldstrafe verurteilt. Der angeklagte Vorwurf war Widerstand, KV, Beleidigung und Sachbeschädigung. Die Sachverständige konnte nicht ausschließen, daß der Angeklagte die Taten in schuldunfähigem Zustand begangen hat. Zutreffend verneinte das Gericht eine actio libera in causa. Meinte dann allerdings, der Angeklagte habe vorwerfbar nicht bedacht, daß er im berauschten Zustand irgendeine strafbare Handlung begehen könne. Das schloss das Gericht aus dem Umstand, daß der Angeklagte drei Jahre zuvor schon einmal wegen einer Trunkenheitsfahrt verurteilt worden war.
Die Entscheidung geht fehl. Im Schuldstrafrecht bedarf es für die Bestrafung auch eines Verschuldens. Bei einem Schuldunfähigen kann diese nicht darin liegen, daß er Jahre zuvor bereits einmal mit Alkohol am Steuer erwischt worden ist (zu diesem Problem: Fischer, Strafgesetzbuch, § 323a, Rn. 18 u. 19).

Eine abfallrechtliche Frage

„In welchen Müll gehört eigentlich eine tote Fliege?“ fragt der Achtjährige mit der Fliegenklatsche in der einen und einer toten Fliege zwischen Daumen und Zeigefinger in der anderen Hand. „In den Restmüll oder auf den Komposthaufen?“ Seine Mutter meint: „in den Restmüll“. Ich hätte Kompost gesagt, schweige dann aber lieber.

Priester bewahrt vor Verurteilung im Bußgeldverfahren

Den Kalauer möge man mir verzeihen; es war kein Priester, sondern „der“ Priester, nämlich der Sachverständige Dr. Johannes Priester aus Saarbrücken.
Der Betroffene war mit der Laserkanone gemessen worden. Eigentlich war nichts zu beanstanden, aber nach ein paar Fragen an den Messbeamten im ersten Hauptverhandlungstermin vor drei Wochen entschied der Bußgeldrichter in Groß-Gerau, nun werde ein Sachverständigengutachten zur Messrichtigkeit eingeholt. Zum nächsten Termin heute kam dann der Messbeamte nicht, gegen ihn wurde ein Ordnungsgeld verhängt. Aber Dr. Priester war um halb sechs in Saarbrücken losgefahren und um halb neun pünktlich erschienen. Weiterlesen

Watsch’n-Mixa: alles ganz normal damals!

Der Augsburger Bischof Mixa hat sich seinen neuen Namen „Watsch’n-Mixa“ wohl verdient. Er kann jetzt das, was man außerhalb Bayerns Ohrfeige nennt, für vor 20-30 Jahren „nicht (mehr) ausschließen“. Aber klar ist auch, daß die Kinderchen (die dreckerten) das auch verdient hatten. Und außerdem: damals, also vor 20-30 Jahren,  war das total normal, so der Bischof heute.
Das war die Zeit von 1980 bis 1990. Eine unselige Zeit in der deutschen Geschichte, wo’s ganz normal war, daß Kinder in der Schule und im Heim geschlagen wurden. Okay, in meiner hessischen Schulzeit von 1971 bis 1984 hab‘ ich sowas nicht erlebt. Aber vielleicht meinte der Bischof ja auch nicht ganz Deutschland, sondern nur Bayern oder gar nur katholische Einrichtungen in Bayern, wo’s normal gewesen sei. Weiterlesen

Was mir die Laune verdirbt:

Das sind die auf dem Rücksitz beifahrende Ehefrau und Tochter, gestern zu Zeugen vor dem OLG Frankfurt geadelt, die sich „100%ig“ sicher sind, daß der beklagte Papa bei dem Unfall vom 10.03.2007 (!) links geblinkt hat, bevor er nach ebendahin abbog, und dabei leider (nein, leider haben sie nicht gesagt und sicher auch nicht gedacht) den auf der linken Spur fahrenden Kläger mit seinem Motorrad übersehen hat. Immer achte man darauf, weil man das ja auch so gar nicht leiden kann, wenn jemand nicht blinkt. Nein, eigentlich müsse man beim Papa auch nicht darauf achten, weil, der ja eh immer blinkt. Aber man achte eben darauf und das habe man halt so drin.
Schade ist nur, daß man dem Blinker nicht anhört, ob er rechts oder links blinkt. Sollte man ändern, extra für solche Zeugen, für Frau und Tochter, damit sie in Zukunft noch „besser“ und noch viel wahrheitsgemäßer vor Gericht aussagen können.

Videomessungen ohne gesetzliche Eingriffsermächtigung!

Den Vorwurf, man habe als Bußgeldrichter jahrelang gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen und reihenweise Betroffene verknackt, die bei  einem Videobrückenmessverfahren ins Netz gegangen waren, obwohl es dafür keine gesetzliche Ermächtigung gab (und gibt), läßt man nicht gerne auf sich sitzen. Regt der Verteidiger beispielsweise beim Amtsgericht Offenburg im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG die Einstellung des Verfahrens an, erhält er zur Antwort:
“ Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,

die Senate in Baden-Württemberg gehen von Paragraph 100 h StPO als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage aus. Das Amtsgericht Offenburg folgt dem.

Mit freundlichen Grüßen

Richter am Amtsgericht “ Weiterlesen