Archiv für den Monat: Januar 2010

Verhaften sie die üblichen Verdächtigen

Man kann sicher darüber streiten, welcher Verfahrensverstoß der Strafverfolgungsbehörden am Ende dazu führt, dass der erhobene Beweis nicht gegen den Beschuldigten im Strafverfahren verwertet werden darf.
Offensichtliche Verfahrensverstöße aber gar nicht erst als solche zu erkennen und dann, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird, ihn als solchen nicht anzuerkennen und (noch später) sich schön zu reden, ist indiskutabel.
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Besondere Umstände für „Bewährung“ bei Strafen von mehr als 1 Jahr

Der Bundesgerichtshof hat am 16.12.2009 das Urteil eines Landgerichts aufgehoben, das den Angeklagten wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und ihm die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung versagt hatte. Der Mann hatte indes gefestigte soziale Bindungen, eine Umschulung zum Lkw-Fahrer absolviert, war geständig und die Tat lag eineinhalb Jahre zurück. Auch war er nicht übermäßig vorbestraft.“ Verzweifelt“ hatte das Landgericht nach besonderen Umständen im Sinne des Paragraphen 56 Abs. 2 StGB gesucht. Der Bundesgerichtshof erlaubte sich darauf hinzuweisen, dass diese auch in der Gesamtschau verschiedener Umstände liegen könnten, die jeder für sich alleine genommen keine besonderen Umstände darstellen würden (2 StR 520/09).

Anwaltswetter

Der Kollege Katzorke hat in der Mailingliste der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV auf eine Pressemitteilung des Landgericht Bautzen hingewiesen die unter der Überschrift „Winterzeit – Eis und Schnee – sogenanntes Anwaltswetter“ veröffentlicht wurde:
http://www.justiz.sachsen.de/lgbz/content/821.php?page=1&behoerde=0&stichwort=&startdate=2010-01-01&enddate=2010-12-31

Gestern in Gera (Teil 7)

Gestern war in Wahrheit heute, aber „gestern in Gera“ klingt einfach besser. Auf jeden Fall wurde das Verfahren gegen die mitangeklagte Ex-Ehefrau des sogn. Hauptangeklagten abgetrennt, plädiert und abgeurteilt. O.k., es hatte eine verfahrensbeendende Absprache gegeben, aber muß man dann im Schlussvortrag unbedingt sagen, man (oder besser frau) schließe sich den Ausführungen der Staatsanwältin „voll und ganz“ (eine i.ü. sprachlich ebenso fragwürdige Formulierung wie das in Thüringen beliebte „stets und ständig“) an?  Findet man das nicht dann doch zu servil? Dies vor allem dann, wenn das neapolitanische Kassationsgericht die Auslieferung der Angeklagten, die sechs Wochen in Auslieferungshaft gesessen und dann noch ebensolange in einer Art Auslieferungshausarrest, abgelehnt hatte und die Angeklagte sodann in Absprache mit der Staatsanwaltschaft aus freien Stücken nach Deutschland eingereist war, um sich dem Verfahren zu stellen, was ihr mit ihrer sofortigen Verhaftung gedankt wurde. So war sie nun seit mehr als einem Jahr in Deutschland in U-Haft für die Staatsanwaltschaft Gera. Ihre beiden Pflichtverteidiger beantragten in dieser Zeit keine mündliche Haftprüfung und legten auch keine Beschwerde gegen den Haftbefehl oder die -fortdauerbeschlüsse ein.

Epilepsie und Schuldfähigkeit

Der fünfte Strafsenat hat am 8. Dezember 2009 (5 StR 449/09) ein Urteil des Landgerichts Neuruppin mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen auf die Sachrüge hin alleine deshalb aufgehoben, weil sich aus dem Urteil am Rande ergab, dass der Angeklagte bereits seit längerem an Epilepsie leide und während des Verfahrenslaufs einige Zeit im Gefängniskrankenhaus verbracht hatte. Auch ohne die Aufklärungsrüge ergebe sich die Fehlerhaftigkeit des Urteils, namentlich in sachlich-rechtlicher Hinsicht, weil das Gericht sich nicht mit den Paragraphen 20,21 StGB und der Frage auseinandergesetzt habe, ob die epileptische Erkrankung bei dem Angeklagten zu einer, die volle Schuldfähigkeit infrage stellenden, Veränderung seines Wesens geführt haben könne.

Im Zoogeschäft

Der Mann im Zoogeschäft interessiert sich für Papageien. Es gibt nur drei. Der erste den er sich zeigen lässt, ist ein schöner grüner Papagei der, so der Verkäufer,  zum Beispiel „Guten Tag“ sagen kann. 150 € soll der kosten.
Der zweite ist noch ein bisschen schöner und größer und rot und kann, wenn er mit dem Kopf nach unten im Käfig hängt, sogar rückwärts zählen. Der hat natürlich auch seinen Preis, 250 € soll er kosten.
Schließlich interessiert sich der Kunde noch für den unscheinbaren grauen, der etwas teilnahmslos in der Ecke sitzt und vor sich hin starrt. Was der wohl kostet, fragt der Kunde.
Verkäufer: der kostet 500 €.
Verwundert fragt der Kunde was der hässliche Vogel denn besonderes könne, wenn er so teuer sei.
Der Verkäufer meint, eigentlich könne er nichts besonderes und er sehe tatsächlich auch nach nichts aus; „Aber die anderen beiden sagen Herr Vorsitzender zu ihm.“

Urteil im Vergewaltigungsprozess

Gestern wurde in dem Vergewaltigungsprozess das Urteil verkündet. Der Angeklagte Peter M. wurde zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren, sein Sohn Marcel H. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und ein weiterer Täter zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Am ersten Verhandlungstag Anfang Juli 2009 hatte der Vorsitzende bezüglich des Hauptangeklagten angedeutet, dass ohne ein Geständniss eine Freiheitsstrafe von „10 +“ in Betracht komme. In der heutigen mündlichen Urteilsbegründung hatte er ausgeführt, dass für den Hauptangeklagten durchaus auch die Maßregel der Sicherungsverwahrung in Betracht gekommen wäre. Dies hätte jedoch die Begutachtung dieses Angeklagten und damit verbunden die Aussetzung der Hauptverhandlung vorausgesetzt. Hiervon habe man, mit Rücksicht auf den schwierigen Prozessverlauf und die hoch belastete Nebenklägerin, die während der Dauer der Hauptverhandlung einen Selbstmordversuch unternommen hatte, abgesehen.
Der Hauptangeklagte folgte der Urteilsverkündung und -begründung in Handschellen. Diese hatte der Vorsitzende, entgegen dem üblichen, angeordnet, nachdem der Hauptangeklagte, wie während des Verfahrens bekannt geworden war, gegenüber einem Mitgefangenen für den Fall seiner Verurteilung mit der Geiselnahme seiner Verteidigerin gedroht hatte.

Am Rande eines Vergewaltigungsprozesses

Gericht und Verteidigerin arbeiten sich an dem Vater und Großvater der beiden Angeklagten ab, die angeklagt sind, gemeinsam eine Frau monatelang vergewaltigt haben. Über das Opfer weiß der Alte nichts Gutes zu berichten. Aber das was er sagt, weiß er nur von seinem angeklagten Sohn. Nur einmal hat er seinen Enkel mit der Frau morgens aus dem Haus kommen sehen und sich seine Vorstellungen dazu gemacht. Die Frau schleiche sich an alleinstehende Männer heran. Er denke nicht dreidimensional. Der Vorsitzende: „Sondern eindimensional“ (man denkt an Herbert Marcuses „Der eindimensionale Mensch“) und hört den Vorsitzenden fragen: „Warum wird mir denn dieser Zeuge präsentiert?“ Weiterlesen

Es heißt, die Gerichtssprache sei deutsch

Zeuge: “ Kenne se mär mol e oastännisch Froach stelle, isch versteh‘ se kaum.“
Verteidiger: „Isch versteh‘ sie aach kaum.“
Zeuge: „Awwer isch gugg se wenischsdens oo debei.“
Verteidiger: „Wenn isch iene woas vorlees, koannisch se net aach noch aagugge debei.“

Verteidiger: „Hatte sie gemeinsame Unnernehmunge mit der Frau S“ (einer anderen Zeugin).
Zeuge: „Was dud’n dess hier zur Sach‘?“
Verteidiger: „Des misse bidde mir iwwerlasse.“
Zeuge: „Mir sinn emol eikaufe gewese.“
Verteidiger: „Sonst nix?“
Zeuge: „Ne, nix.“
Verteidiger: „Sie solle e Verhältnis mit ere gehabt hawwe.“
Zeuge: „Ja, des stimmt.“

Verteidiger: „Sie breche iwwer ihrm Bruder de‘ Stab“ (der Bruder ist der Angeklagte).
Zeuge: „Was mach‘ isch?“
Verteidiger: „Ei de‘ Stab iwwer’m breche.“
Zeuge (an die Richter gewandt): „Stimmt dess was der do seegt?“ 

(Aus einer Verhandlung vor dem Landgericht Darmstadt von heute)