Archiv für den Monat: August 2009

Nemo tenetur im Besuchsraum der U-Haft

Nach der Entscheidung des BGH vom 29.4.09 (NJW 2009, 2463) ist die heimliche Raumüberwachung eines Besuchsraums in der U-Haft nicht schlechterdings unzulässig; die gewonnen Erkenntnisse waren  im entschiedenen Fall jedoch wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens  unverwertbar.
Der Beschuldigte saß wegen Mordverdachts in U-Haft. In den abgehörten Gesprächen bestätigte er seiner Ehefrau, daß das Opfer tot sei und bat sie, ihm ein Alibi zu verschaffen. Das Gespräch war vermeindlich unüberwacht.
Auch aufgrund der Erkenntnisse aus diesem Gespräch wurde der Angeklagte wegen Mordes verurteilt. Der BGH hob das Urteil daher auf und stellte fest, daß der Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens darin bestehe, daß niemand gezwungen werden dürfe, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare).

Verfahrensverzögerung im Bußgeldverfahren

Eine von der Justiz zu verantwortende Verfahrensverzögerung von sieben Monaten führt regelmäßig (noch) nicht zur Verkürzung oder gar zum Wegfall eines Fahrverbots oder zur Herabsetzung des Bußgeldes oder zur Einstellung des Verfahrens (OLG Bamberg-NJW 2009, 2468).

(siehe auch meinen Artikel vom 30.10.2008)

Einstellungsverfügung – unkonventionell begründet

Der Zeuge hatte angegeben, daß der Beschuldigte mit seinem PKW bei mehr als 100 km/h auf der Autobahn bis auf ca. 2m aufgefahren sei, die Lichthupe betätigt, den Abstand auf bis zu 50 cm weiter verkürzt und schließlich rechts überholt habe.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat das wegen Nötigung und Straßenverkehrsgefährdung geführte Verfahren mit der folgenden Begründung eingestellt: „Nicht jedes Fehlverhalten im Straßenverkehr erfüllt den Tatbestand der Nötigung gem. § 240 StGB. Es müsste hierzu eine konkrete Gefahr entstanden sein, die aus der Sicht eines objektiven Betrachters unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen ist. Die Gefahr eines Unfalls muß in bedrohliche oder nächste Nähe gerückt sein. Die Sicherheit einer bestimmten Person oder eines bestimmten Sachwertes muss so stark beeinträchtigt sein, dass es letztlich nur vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht. Dies liegt hier nicht vor. Es mag zwar für den Anzeigeerstatter unangenehm gewesen sein, dass der Beschuldigte so dicht auffuhr und ständig die Lichthupe betätigte, jedoch ist hierdurch keine konkrete Gefahr entstanden.“

Keine Verwerfung nach Entbindung vom persönlichen Erscheinen

Das Amtsgericht Mannheim hatte den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden und einen Antrag des Verteidigers auf Velegung des Termins wegen seiner Verhinderung abgelehnt. Weil somit niemand erschienen war, verwarf es den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid durch Urteil. Wiedereinsetzung versagte das Amtsgericht. Auf die sofortige Beschwerde hin erklärte das Landgericht Mannheim das Urteil für gegenstandslos. Auf die Verhinderung des Verteidigers komme es nicht an. Entscheidend sei allein, daß der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden war. In diesem Fall könne der Einspruch nicht mehr verworfen werden, gleichgültig, ob der Verteidiger aus Gründen seiner Verhunderung oder aus sonstigen Gründen nicht erschienen war (14 Qs 19/09 vom 23.07.09).

Strafmilderung bei Aufklärungshilfe im allgemeinen Strafrecht

Die aus dem § 31 BtMG bekannte Aufklärungshilfe, die zu Strafmilderung gem. § 49 StGB führen kann und zu unzähligen Falschbelastungen geführt hat, wird jetzt zum 1.9.09 in ähnlicher Form auf das gesamte Strafrecht ausgedehnt werden (BGBl. I 2009, 2088). Gleich nach der Regelung über den Täter-Opfer-Ausgleich folgt ein neuer § 46b, der auf den Katalog der Straftaten in § 100a StPO verweist, bei denen eine TKÜ möglich ist und bei denen Aufklärungshilfe zukünftig zu Strafrahmenverschiebungen führen kann, als da etwa sind Geldfälschung, Sexualstraftaten, Tötungsdelikte, Raub, schwerere Betrugsdelikte, Bestechung.