Archiv für den Monat: April 2009

Drei Verhandlungen… Teil 3

Vorgestern in Michelstadt: Zwei Mal vorbestraft wegen Trunkenheitsfahrten, zuletzt 2003. Dabei eine viermonatige Bewährungsstrafe erhalten. Bewährungszeit überstanden, Strafe erlassen, Fahrerlaubnis nach MPU wiedererteilt erhalten. Ende 2008 Trunkenheitsfahrt mit 2,6 Promille. Angst vor Freiheitsstrafe ohne Bewährung nach der üblichen Schema-F-Eskalationsstufe: Geldstrafe, Freiheitsstrafe mit und im zweiten Wiederholungsfall ohne Bewährung. Angst unbegründet. Schon Staatsanwaltschaft betont, daß letzte einschlägige Verurteilung fünf Jahre zurück liegt und die damalige Bewährungszeit überstanden worden war. Sie beantragt daher eine sechsmonatige Bewährungsstrafe, die auch verhängt wird.

Drei Verhandlungen… Teil 2

Der Paketzusteller war wegen gefährlicher Körperverletzung (Tatwerkzeug = Schlüsselbund) zum Nachteil seiner Lebensgefährtin ihres Sohnes, begangen im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit, im Februar vom Amtsgericht Bensheim zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden (ebenfalls zur Bewährung) obwohl die Verletzungen von Frau und Kind diskret waren und der „Täter“ strafrechtlich bislang noch nie in Erscheinung getreten war. Wie es zu diesem Fehlurteil kommen konnte, ist unklar. Der Paketzusteller hatte in erster Instanz einen anderen Anwalt. Vielleicht hatte dem Richter ja schon nicht gefallen, dass der Angeklagte die Vorwürfe bestritten hat. Weiterlesen

Drei Verhandlungen-drei angemessene Ergebnisse

1. Teil

Das Amtsgericht Michelstadt hatte über einen jungen Mann zu entscheiden, der zum wiederholten Male wegen Gewalttätigkeiten aufgefallen war. Er war deswegen auch strafrechtlich verurteilt worden. So unter anderem im Jahre 2006, als er erst 16 Jahre alt war, zu einer Bwährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Danach im Jahr 2007 zu einem Arrest von vier Wochen. Dieser wurde allerdings erst im Juli 2008 vollstreckt. Die neuerliche Tat war in laufender Bewährung und vor der Verhängung des Arrestes begangen worden. Angeklagt war eine gefährliche Körperverletzung wegen gemeinschaftlicher Begehungsweise. Weiterlesen

„Ausbremsen“ keine Nötigung bei Überholmöglichkeit (OLG Celle)

In dem vom OLG Celle (NZV 2009, 199) entschiedenen Fall hatte ein Autofahrer, nach beiderseits als bedrohlich empfundenen Fahrmanövern der beteiligten Fahrzeuge bzw. ihren Führern, das vorausfahrende Auto überholt und anschließend sein Fahrzeug zunächst durch einfaches Gas wegnehmen und spätere Stotterbremse verlangsamt und ist anschließend stehen geblieben. Das von ihm überholte Auto blieb dahinter ebenfalls stehen, obwohl ein Überholen bzw. Vorbeifahren möglich gewesen wäre. Die Vorinstanzen hatten das Verhalten des Überholers als Nötigung gewertet. Das OLG hat diese Auffassung nicht geteilt und das angefochtene Urteil insoweit aufgehoben. Dass die Überholte nicht vorbeigefahren sei, beruhe nicht auf von § 240 StGB gefordertem physischem sondern lediglich auf psychischem Zwang.

Pflichtverteidiger im Bußgeldverfahren

Das Landgericht Mainz hat am 6.4.09 entschieden, daß dem Betroffenen ein Pflichtverteidiger auch im Bußgeldverfahren zu bestellen ist. Es ging zwar „eigentlich“ nur um ein Bußgeld von 50 € wegen eines Verkehrsverstoßes. Damit verbunden war jedoch die Eintragung von 3 Punkten in Flensburg. Wegen voreingetragener 16 Punkte hatte der Betroffene wegen Erreichens von mindestens 18 Punkten daher mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen. Da er Berufskraftfahrer und schon 61 Jahre alt war, ohne Fahrerlaubnis mit der Kündigung rechnen mußte und altersbedingt auch nicht ohne weiteres mit einer Neuanstellung, waren die Folgen der Verurteilung derart gravierend, daß ein Fall notwendiger Verteidigung gem § 140 II StPO vorlag (1 Qs 49/09).
Die Entscheidung ist inzwischen veröffentlicht in NZV 2009, 404.

Der Staatsanwalt vermeidet jede Bloßstellung!

Die FAZ schreibt heute über den Fall der Musikerin, die auf Antrag der Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen gefährlicher Körperverletzung in Untersuchungshaft sitzt:
http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~EA1FA4EEB6E6748DCB84448B7801D2C4F~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Der Autor wundert sich verständlicherweise darüber, daß der Staatsanwalt Ger Neuber sehr auskunftsfreudig ist und über das Intimleben der Beschuldigten vor der Presse plaudert.
In Nr. 4a der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren heißt es hierzu: „Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann.“ Er wird wohl nicht behaupten wollen, daß die bisherige Ausbreitung des Falles in der Öffentlichkeit dem gerecht wird.

Keine Akteneinsicht des verletzten Rechteinhabers bei Bagatellverstößen

Die 9. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt hat in einem vielbeachteten Beschluss (9 Qs 573/08) entschieden, daß dem verletzten Rechteinhaber ein Akteneinsichtsrecht nicht bei Bagatellverstößen in sogn. „Filesharing“-Fällen (Musik-„downloads“ pp.) zusteht, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des früheren Beschuldigten entgegenstehe. Im vorliegenden Fall ging es nur um einen Musiktitel. Das Verfahren war nach § 153 StPO eingestellt worden.
Das, worum es in diesen Strafverfahren dem Anzeigeerstatter eigentlich geht, nämlich via Anzeige und anschließender Akteneinsicht an die persönlichen Daten des „Nutzers“ zu gelangen, wird dadurch erfreulicherweise unmöglich gemacht (NJW-Spezial 2009, 250).

Verschiedene Btm und Verkehrsteilnahme (OLG-Koblenz-NJW 2009, 1222)

Das Amtsgericht hatte den Betroffenen wg. Verstoßes gegen § 24a StVG verurteilt. In seiner Blutprobe waren 0,8 ng/ml THC (Grenzwert BVerfG-NJW 2005, 349: 1,0 ng/ml) und 14 ng/ml Amphetamin (Grenzwert OLG_München-NJW 2006, 1606: 25 ng/ml) festgestellt worden. Da beide Grenzwerte nicht überschritten waren, hat das Amtgericht die beiden Werte quasi addiert, was vom OLG als unzulässig qualifiziert worden ist. Es hat das amtsgerichtliche Urteil daher aufgehoben und mit dem Pferdefuß versehen, daß gerade bei der Kombination mehrerer Drogen die Tatsache der Beeinträchtigung der Fahruntüchtigkeit auch auf andere Weise festgestellt werden könne. Im angefochtenen Urteil waren wohl entsprechende Auffälligkeiten beschrieben. Im ungünstigsten Fall kann daher zwar die Geldbuße nicht erhöht (Verbot der reformatio in peius) aber wg. einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) verurteilt werden; immerhin ist die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht möglich.

Die Rechtsbeugung von Naumburg II

In der April-Ausgabe der NStZ schlägt ein Mainzer Juraprofessor eine Änderung des Rechtsbeugungsparagrafen im StGB vor, um zukünftig eine so skandalöse „Aufarbeitung“ der fortgesetzten Rechtsbeugung des Naumburger OLG-Familiensenates durch die dortige Strafjustiz in anderen Fällen zu vermeiden. Dadurch soll Rechtsbeugung stets auch bei Entscheidungen von Kollegialgerichten strafbar sein, auch wenn die Täter in Robe als Beschuldigte sich an das Gesetz des Schweigens halten. Dies sei aufgrund der herrschenden Meinung notwendig, obwohl nach seiner Auffassung alle drei jedenfalls wegen Beihilfe zum Verbrechen der Rechtsbeugung zur Rechenschaft hätte gezogen werden müssen. Da die Richterschaft sich als unfähig erwiesen habe, sich von dem Unrecht der Naumburger Richter selbst zu reinigen, sei nun der Gesetzgeber gefordert. Er zeichnet abschließend noch das gespenstische Scenario des Todesurteils einer Strafkammer, welches ungesühnt bleiben müsse (auch wenn es vollstreckt worden sei), wenn die Naumburger Lücke nicht gesetzlich geschlossen werde.

(siehe auch meine Beiträge „Görgülü“, 28.10.08; „Görgülü II“, 29.10.08; „Naumburg“, 16.01.09, wobei man im Hinblick auf letzteren nur froh sein kann, daß der Mainzer Juraprofessor angesichts seines „kritischen“ Artikels nicht vom Darmstädter Anwaltsvereinsvorsitzenden zum Rücktritt von irgendwas aufgefordert werden kann (siehe hierzu meine Beiträge „Rücktritt…“, 23.01.09 und „Die Iden des März“, 21.03.09), davon gehe ich zumindest aus.)

Der angeklagte Vater

Der Angeklagte ist Serbe und war, nach seiner Abschiebung im Sommer, kurz nach Weihnachten 2008 illegal nach Deutschland eingereist. Zwei Stunden nachdem er in Hanau eingetroffen war, wurde er vor seiner früheren Lebensgefährtin und der gemeinsamen 13jährigen Tochter verhaftet. Zu der geplanten Begegnung mit den beiden jüngeren Kindern war es nicht mehr gekommen. Seither sitzt er eine sechsmonatige Restfreiheitsstrafe ab.
Heute nun seine Verhandlung vor dem Strafrichter in Hanau wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz. Er ist geständig und berichtet von der unstillbaren Sehnsucht seine Kinder zu sehen. Die haben die Staatsangehörigkeit des Kosovo, der von Serbien nicht anerkannt ist. Dies macht Begegnungen in Serbien unmöglich, zumal die frühere Lebensgefährtin inzwischen einen anderen Partner hat und nicht geneigt ist, mit den Kindern nach Serbien zu fahren. Der Angeklagte darf aber nicht nach Deutschland, weil ihm die Wiedereinreise verboten ist. Ein unauflösliches Dilemma. Weiterlesen